2012

Sturm menschlicher Emotionen

„Shin-Heae Kang begeisterte ihr Publikum bei ihrem Klavierkonzert in der Reihe »Dannenberger Frühling» – Eher schüchtern kommt sie daher: Shin-Heae Kang beim dritten von fünf Konzerten der Kammermusikreihe »Dannenberger Frühling». Aber Statur, Auftreten und Wesen der Pianistin dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ein absoluter Profi am Konzertflügel ist, der mit großer Ernsthaftigkeit und Konzentration seine Profession betreibt.

Auffallend bei dem Konzert am Sonnabend im Ohmschen Haus waren die langen Einstellungsphasen vor Beginn eines neuen Satzes oder Stückes – ging sie im Geiste die nächsten Passagen noch mal durch. Auch auffallend die geschickte Auswahl des Programmes in Hinblick auf den unterschiedlichen Charakter der Werke und einer gefühlten Steigerung im Ablauf. Shin-Heae Kang spielte als Erstes die Sturm-Sonate opus 31 Nr. 2 von Ludwig van Beethovens in d-Moll. Nicht so sehr ein pianistisches Bravourstück als eine Charakterstudie: Sei es, dass sich der Zuhörer in ein Ungewitter oder vielleicht doch mehr in einen Sturm menschlicher Emotionen versetzt sieht. Bei der gewichtigen und ernsthaften Sonate kann die Pianistin gleich im ersten Satz, dem Largo – Adagio, ihre Affinität zwischen lansamen, lyrischen Passagen und explosiven Eruptionen beweisen. Bei Beethoven noch gleichsam klassisch gezügelt. In dem Sinne funktionieren dann auch das folgende Adagio und Allegretto. Bei der »Widmung» von Robert Schumann und Franz Liszt führt Shin-Heae Kang die Konzertbesucher zuerst in ein kleines Lied mit einem intimen Charakter, das immer mehr an Lautstärke und Schnelligkeit gewinnt. Offenbar ist dies ein musikalisches Mittel, das sie besonders interessiert. Doch gelingt es der Künstlerin anders als bei Beethovens bedeutungsschweren Duktus zuvor, einen spielerischen Eindruck zu bewahren.

Vor der Pause als erster Höhepunkt die Variationen über ein Thema von Paganini von Johannes Brahms. Ein tolles Stück: In gefühlten unendlichen Variationen bearbeitet Brahms das Thema. Shin-Heae Kang spielt mit viel Volumen, aber dann in der nächsten Variante ganz entrückt und träumerisch. Und doch wird deutlich: Auf diesem Niveau ist so ein Vortrag harte Arbeit. Wie kann sie das alles auswendig spielen – wo doch das Thema immer wieder aufgegriffen wird, was dem Zurechtfinden nicht zuträglich sein dürfte; bei diesem langen und abwechslungsreichen Stück.

Als weitere Nuance folgten nach der Pause Balladen von Frederic Chopin. Auch bei Chopin fällt der stete Wechsel zwischen ruhigen und entspannten Phasen und artistischen Glanzleistungen auf. Trotzdem gelingt es der Pianistin, auch ihrem Chopin ein anderes Gepräge zu geben. Und dann die Ungarische Rhapsodie Nr. 2 von Franz Liszt. Spätestens hier wird deutlich, dass so ein klassischer Klavierabend etwas für jeden Menschen wäre. Wow – da hat sie wirklich alles gegeben. Aber so kann das Äußerliche der kleinen und jungen Frau täuschen: Das steckt alles in ihr drin. In der Zugabe, einer Sonate von Scarlatti, zeigt die Pianistin dann noch, dass sie des musikalischen Mittels des Kontrastes gar nicht bedarf, um zu bewegen und gefangen zu nehmen. Ein restlos zufriedenes aber auch erschöpftes Publikum applaudierte begeistert.“

NIEDERSÄCHSISCHES TAGEBLATT – ELBE-JEETZEL-ZEITUNG